Manche Influencer:innen posten neben Mode-, Fitness- und Lifestyle-Themen auf Social Media zunehmend auch Inhalte zu gesamtgesellschaftlich relevanten Themen. Unsere Autorin Leonie Wunderlich vom Leibniz-Institut für Medienforschung | HBI hat sich mit der Frage beschäftigt, inwiefern sie ein Teil des Informations- und Meinungsbildungsprozesses junger Menschen sind und fasst nachfolgend die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
Der Großteil (81 Prozent) junger Menschen zwischen 16 und 29 Jahren hat in sozialen Medien Posts, Videos und Stories von Social-Media-Influencer:innen (SMI) abonniert. Neben dem Posten von Inhalten zu Mode-, Fitness- und Lifestylethemen beteiligen sich einige dieser reichweitenstarken Akteure zunehmend auch am öffentlichen Diskurs über gesamtgesellschaftlich relevante Themen. Dabei wird ihnen aufgrund der engen Beziehung zu ihrer Followerschaft und ihrer Identifikationsfunktion das Potenzial zugesprochen, informative Inhalte an junge Zielgruppen zu vermitteln. Entsprechend stellt sich die Frage, inwiefern diese Persönlichkeiten als Informationsquelle dienen – und zu welchen Themen. Welche Motive gibt es für das Folgen und Abonnieren bekannter Personenaccounts noch? Und welche unterschiedlichen Funktionen schreiben junge Menschen ihnen für die eigene Meinungsbildung zu? Diesen Fragen widmet sich ein kürzlich veröffentlichtes Paper, dessen wichtigste Erkenntnisse hier zusammengefasst werden.
Social-Media-Influencer:innen haben Identifikations- und Vorbildfunktion
Die Informationsnutzung und damit auch Prozesse der Meinungsbildung zu gesellschaftlich relevanten Themen finden bei jungen Menschen heutzutage überwiegend online statt, wobei Social-Media-Influencer:innen (SMI) eine relevante Quelle sowohl für die Nachrichtennutzung als auch für die Meinungsbildung darstellen. Das ist nicht zuletzt auf den hohen Orientierungsbedarf junger Menschen in ihrer Phase der Identitätsentwicklung zurückzuführen. Hier nehmen SMI eine wichtige Identifikations- und Vorbildfunktion ein. Darüber hinaus können SMI als digitale Meinungsführer agieren, indem sie ihre (politische) Meinung zu aktuellen Themen verbreiten und damit möglicherweise Einstellungen und Verhaltensweisen ihrer Followerschaft beeinflussen. In diesem Zusammenhang spielt auch die wahrgenommene Beziehung zu gefolgten Persönlichkeiten eine Rolle. Diese gestaltet sich bei den Teilnehmenden der Interviewstudie sehr unterschiedlich.
Mädchen bauen eher emotionale Beziehung zu gefolgten Persönlichkeiten auf
Die männlichen Interviewpartner haben ihr Verhältnis zu gefolgten Persönlichkeiten in sozialen Medien überwiegend auf einer rational-informativen Ebene beschrieben und ihnen Eigenschaften zugesprochen, die sich vor allem auf deren (fachliche) Expertise beziehen. So übernehmen sie eine Vorbildfunktion im Hinblick auf die eigenen Berufswünsche, wie beispielsweise Sven (17 Jahre) mit Blick auf den Physiker Harald Lesch erzählt hat. Demgegenüber haben die weiblichen Teilnehmerinnen eine freundschaftliche Beziehung zu gefolgten Persönlichkeiten beschrieben und ihnen auf einer emotionalen Ebene Eigenschaften zugeschrieben, die sich vor allem auf deren Charakter beziehen. Über die Ansprache von alltagsrelevanten Themen wie beispielsweise „Periode“ (Sofia, 14), „gutes Zeitmanagement“ (Ella, 14) oder „hilfreiche Lerntipps“ (Britta, 15) bieten Social-Media-Persönlichkeiten den Jugendlichen Orientierung, sodass diese eine Beziehung zu ihnen aufbauen.
Im Rahmen dieser Beziehung schreiben die Jugendlichen den gefolgten Persönlichkeiten unterschiedliche Schlüsselmerkmale zu. Dazu gehören beispielsweise ähnliche soziodemografische Merkmale (gleiches Geschlecht oder Alter) und Einstellungen (politische Grundhaltung) oder die Wahrnehmung von Authentizität (hier vor allem das Verhalten vor der Kamera). Die weiblichen Teilnehmerinnen haben auch die wahrgenommene Attraktivität von gefolgten Persönlichkeiten und die Ästhetik geteilter Inhalte hervorgehoben.
Social-Media-Persönlichkeiten haben verschiedene Funktionen im Prozess der Meinungsbildung
Im komplexen und mehrstufigen Prozess der Meinungsbildung können SMI selbst sowie die Inhalte, die sie zu bestimmten Themen posten, unterschiedliche Funktionen (z. B. Interesse für ein Thema wecken oder komplexe Sachverhalte einfach erklären) erfüllen. Personen, denen die Teilnehmenden einen „Influencer“-Status zugesprochen haben, liefern vor allem Inhalte zu alltagsrelevanten bzw. persönlich interessanten Themen oder zu prominenten Großereignissen, die im Trend sind. Im Gegensatz dazu schreiben die Teilnehmenden, wenn es um aktuelle (politische oder gesamtgesellschaftlich relevante) Informationen geht, in erster Linie Accounts von Nachrichtenanbietern sowie einzelnen Persönlichkeiten, die insbesondere auf YouTube nachrichtliche Inhalte verbreiten (sogenannte „News-Influencer:innen“), eine Informationsfunktion zu. So haben die Befragten überwiegend bei YouTube einzelne Personen wie Mirko Drotschmann (Mr.Wissen2Go) oder Mai Thi Nguyen-Kim (MaiLab) abonniert, die „Beiträge zu aktuellen politischen Themen oder auch generell gesellschaftliche Themen“ machen, wie Sven (17) erzählt hat. Darüber hinaus können gefolgte Persönlichkeiten das Interesse für bestimmte Themen wecken. Damit werden sie von vielen der Befragten auch als Inspirationsquelle angesehen – beispielsweise „für neue Outfits“ (Julia, 16 Jahre) oder für „neue Musikvideos“ zum Anschauen (Kim, 23 Jahre).
Relevanz im Meinungsbildungsprozess ist abhängig vom Thema
Mit Blick auf das Verbreiten politischer Inhalte haben die Teilnehmenden die Rolle einzelner Persönlichkeiten unterschiedlich bewertet, wobei insbesondere der zugeschriebene „Influencer“-Status eine Rolle spielt: Auf der einen Seite wird es als „grundsätzlich gut“ (Britta, 15) und „eigentlich ganz cool“ (Ella, 14) empfunden, wenn sich bekannte Persönlichkeiten zu politischen Themen äußern. Ihre große Reichweite könne dazu beitragen, dass „richtige und wichtige Informationen“ (Lena, 14) weitergegeben werden, sodass „Leute, die sich nicht so viel damit beschäftigen“ (Laura, 16) zum Nachdenken angeregt werden und „Influencer als Vorbilder dastehen können“ (Lena, 14). Auf der anderen Seite haben die Teilnehmenden kritisiert, dass die Grenzen zwischen unterhaltenden und informativen Inhalten bei Accounts wie Louisa Dellert und Diana zur Löwen „einfach nicht klar“ (Christine, 23) seien und diese Personen „nicht mal besonders qualifiziert“ (Laura, 16) seien, um meinungsbildungsrelevante Inhalte zu verbreiten.
Ersetzen Social-Media-Influencer:innen für junge Menschen nun klassisch-journalistische Anbieter als Informationsquelle?
Die im Rahmen dieser Studie geführten Tiefeninterviews mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen machen deutlich, dass Social-Media-Persönlichkeiten mit Lifestyle-Themen vor allem den Orientierungsbedarf junger Menschen bedienen. Dieser richtet sich im jungen Alter auf die Bewältigung von Alltagsaufgaben sowie die eigene Identitätsbildung und Lebensstilfindung. Dabei hat die Beziehungsgestaltung zu „Influencer:innen“ insbesondere bei Jugendlichen eine wichtige Funktion in der Meinungsbildung zu alltäglichen und persönlich relevanten Themen. Werden wiederrum politische Inhalte verhandelt, zeigen sich die Teilnehmerinnen der Studie trotz ihrer engen parasozialen Beziehung zu einzelnen Persönlichkeiten als weniger beeinflussbar. Nichtsdestotrotz sollten die Vermittlung einer kritischen Distanz zu Vorbildern in sozialen Medien sowie das Erlernen der Unterscheidung zwischen subjektiven Meinungsäußerungen und objektiven Informationen gefördert werden.
Hintergründe zur Studie
Methode
Im Rahmen der Studie wurden zwischen Juni und September 2022 insgesamt 22 Tiefeninterviews mit Jugendlichen (14 bis 17 Jahre) und jungen Erwachsenen (18 bis 24 Jahre) geführt. Die Gespräche haben durchschnittlich 65 Minuten gedauert (min. = 60 Minuten; max. = 90 Minuten) und die Teilnehmenden haben als Dankeschön 20 Euro erhalten. Die Fragen haben sich auf die Motive für das Folgen einzelner Accounts in sozialen Medien, die wahrgenommene Beziehung zu gefolgten Persönlichkeiten, die Einschätzung der Teilnehmenden hinsichtlich der Glaubwürdigkeit dieser Personen sowie und ihre Relevanz für Informations- und Meinungsbildungsprozesse konzentriert.
Theoretische Konzepte
- Digitale Meinungsführer: Die Idee, dass einzelne Personen bei bestimmten Themen als Informationsquelle und Ratgeber dienen und in ihrer Kommunikationsrolle als „Meinungsführer“ Einfluss auf Einstellungen und Verhaltensabsichten Anderer nehmen, hat ihren Ursprung im Konzept des Two-Step Flow of Communication von Katz und Lazarsfeld aus dem Jahr 1955. In der ursprünglichen Konzeption zeichnen sich Meinungsführer durch drei Eigenschaften aus: 1) Sie repräsentieren bestimmte Werte, 2) sie verfügen über einen hohen Wissensstand, der sich aus einem großen Interesse an einem bestimmten Thema speist, und 3) sie sind sozial aktiver als andere und haben mehr soziale Beziehungen.
- Parasoziale Beziehung: Die Auseinandersetzung mit Social-Media-Persönlichkeiten und deren Inhalten kann auf Seiten der Nutzenden im Laufe der Zeit zu einer wahrgenommenen parasozialen Beziehung (PSB) führen. Besonders Jugendliche nehmen prominente Medienpersönlichkeiten oft als Freunde wahr. Durch das regelmäßige Posten von Inhalten und eine zum Teil direkte Interaktion mit ihrer Followerschaft anhand der Beantwortung von Kommentaren oder Direktnachrichten können Jugendliche eine dauerhafte sozio-emotionale Bindung zu ihnen entwickeln.
- Parasoziale Meinungsführerschaft: Der Definition von Leißner und Kollegen (2014) nach kann eine Medienpersönlichkeit als parasozialer Meinungsführer agieren, wenn 1) ein Nutzer oder eine Nutzerin dieser Person im Rahmen einer parasozialen Beziehung bestimmte Eigenschaften („Schlüsselmerkmale“) zuschreibt, wodurch die Medienperson unterschiedlich intensiv Einfluss nehmen kann; wenn 2) mindestens eine von drei spezifischen Funktionen erfüllt wird: Informations- und Komplexitätsreduktion, Orientierung geben oder Interesse wecken.
Das ausführliche Paper von Leonie Wunderlich kann hier abgerufen werden.